"Geh weg vom Zaun!" Am Rand eines herbstlich bunten hessischen Dörfchens graste eine kleine Ziegenherde. Ich versuchte, mich mit den Ziegen zu unterhalten. Nichts. Keine Reaktion. Dann eben der Bock. Er trug seine Führungsinsignien deutlich vor sich her. Und war ebenfalls nicht gesprächig. Einen einzigen Satz konnte ich hören: "Geh weg vom Zaun!" Ich trat einen Schritt zurück. Klare Ansage, dachte ich. Der passt auf. Am nächsten Tag kam ich wieder vorbei. Vielleicht gab es heute mehr Gespräch... Eine Familie aus dem Dorf ging an mir vorbei. "Passen Sie auf! Gehen Sie lieber weg vom Zaun. Der ist unter ziemlich starker Spannung." Achso? Hatte der Bock das gemeint? War er sozial mit mir gewesen? Leider vergaß ich, ihn danach zu fragen.
Mai 2022
Ein wuscheliges junges Hundemädchen hat sich die Pfote verletzt. Hundekindergarten? Adé. Abends noch mal raus und mit Frauchen oder Herrchen herrlich schlendern? Adé. Freunde treffen? Frühlingsluft schnuppern? Nichts da. Zur körperlichen Einschränkung und den physischen Schmerzen kommen nun auch noch die "seelischen" Belange: Spielen, Austausch, fröhlich sein - Alles gerade nicht möglich. Und Frauchen und Herrchen gucken immer so besorgt... Ach nee, das ist ja alles ziemlich blöde... Es ist der erste schwere Einbruch im glücklichen und umsorgten Welpenleben. Traurig liegt sie mit dick umwickelter Pfote da. Doch sie robbt zu mir hin. Weiß sie von meinen Fähigkeiten? Da kann ich doch nicht nein sagen?
Ich spreche mit ihr. Sie bekommt erstmal eine energetische Behandlung für die Verletzung und den allgemeinen körperlichen Zustand. Doch ich merke, das reicht noch nicht. Jetzt wechsle ich vom zielgerichteten Arbeiten zur rein intuitiven Vorgehensweise. Es wird sich ergeben, da bin ich mir sicher. Das war bisher immer so. Tatsächlich. Ich lande auf dem Boden, liege ihr zugewandt auf der linken Seite, meine Hände auf ihrem Körper, während die Kleine ihre Pfoten zu mir streckt und mich berührt. Ich kontrolliere gar nichts von dem, was nun passiert. Wir arbeiten miteinander. Sie verändert sich, das ist schon zu merken. Und dann, plötzlich, noch wackelig, weil die kranke Pfote schmerzt, steht sie auf. Die Rute wedelt kräftig. Freude über Freude, schnell hin zu Frauchen gelaufen. Dann schnell zu mir und den Kopf in meinen Schoß vergraben. Danke sagen. Dann legt sie sich entspannt wieder hin und hält zufrieden ein Genesungsnickerchen. Frauchen bekommt während dessen Informationen über das Wesen und die besonderen Bedürfnisse ihres tierischen Lieblings.
April 2022
Meeresbewohner in einem Aquarium:
Bewegend und traurig. Ein Kollege von "Nemo" mit blauen Augen zeigt sich offen und redselig. Er meint, es sei beschissen, immer wieder beim Schwimmen vor die Scheiben zu rammen. Es ist einfach zu klein. Das Becken wurde allerdings sehr aufwendig und liebevoll gestaltet. Eine echte Augenweide, die einen kleinen Ausschnitt vom Wunder der Meere zeigt und hoffentlich, vielleicht Verantwortungsgefühl und Liebe für diesen Teil der Natur bei den Besuchern wachsen lässt. Das teile ich ihm mit. Und dass darum sein Leben dennoch sehr sinnvoll sei, wenn auch nicht artgerecht. Sozusagen nicht glücklich. Anders kann ich ihn nicht trösten. Es hilft ein bisschen. Die anderen Fische sind interessiert und halten sich vermehrt da auf, wo wir uns unterhalten. Ich bitte ihn, es weiter zu erzählen.
Der Seeigel. Er gleicht einem Stein, einem Mineral. Zeitlos. Unbewegt. Er spricht nicht. Oder ich höre ihn nicht, auch möglich.
Der wütende Hai. Erst kann ich ihn gar nicht zum Sprechen bewegen. Es ist wie in Rilkes Gedicht. Statt Gitterstäben die immer gleiche Runde im kleinen Becken hinter den Glasscheiben. Also Wut kommt mir entgegen. Und eine Art Test. Hab ich Angst vor ihm? Ja, habe ich. So taff bin ich nicht. Ich versuche trotzdem tapfer, seiner Kraft standzuhalten. Sehr viel mehr als die Wut zeigt er mir nicht. Er sei zu intelligent, um hier, ohne seine Fähigkeiten auch nur annähernd einsetzen zu können, zu verkümmern. Außerdem müsse er das Reich mit Haien teilen, mit denen er sich niemals in "Freier Wildnis" treffen würde. Sie nerven sich also gewaltig. Da kann ich ihn nicht trösten. Er will auch nichts hören. Als Alles gesagt ist, verstummt er.
Der Alligator. Er schweigt. Ganz kurz erlaubt er mir einen Kontakt. Er vegetiere vor sich hin. Wut. Und Schluss. Das Gleiche also. Ich könnte heulen. Da wurde sich viel Mühe gegeben, den Tieren ein Zuhause zu schaffen, und den Menschen die Gelegenheit zu beobachten und zu staunen. Und dennoch. Es ist nicht artgerecht, und darunter leiden sie.
März 2022
Wolfhund. Wolfshybride: Zu viert Besuch in einem Bärenpark. Zwei ruhige, einfühlsame Hunde, zwei Menschen. Zwei Bären balgen sich etwas, scheinen noch träge nach dem Winter. Nicht weit von ihnen entfernt - wir trauen unseren Augen nicht. Ein Wolfshybride beobachtet uns fortwährend. An unserem Picknickplatz, vorm Regen untergeschlüpft und etwas gewärmt, erfrage ich vorsichtig seine Gesprächsbereitschaft. Die ist da! Also los. Wie geht es ihm, wie gefällt es ihm hier, was mag er erzählen? Die Antworten überraschen, und ich könnte heute noch heulen. Dann aber verschlug es uns fast den Atem, und Tränen standen in unseren Augen. Wir trauten uns wirklich kaum zu atmen. Er kam immer näher. Erst umkreiste er uns, wechselte mehrmal seinen Platz. Doch dann, nach etwa 20 Minuten, schritt er in Serpentinen auf uns zu. 4, vielleicht 5 Meter trennten uns noch. Ein riesiger Wolfshybride, der die Nähe und den Blickkontakt sucht. Vielleicht macht er das immer so. Er wurde schließlich einst bei einem Menschen gehalten.